Die Diagnose von LRS

Die Diagnose von LRS/ Legastenie erfordert sowohl ein ausgiebiges Anamnesegespräch als auch ein 90 minütiges Testverfahren, Aufmerksamkeit und Erfahrung.

Die Basisursache für LRS liegt in der Schwäche/Störung der zentralen Hörverarbeitung, den sogenannten Low-Level-Funktionen. Eine Störung der Low-Level- Funktionen wiederum kann durch folgende Ursachen hervorgerufen werden: z.B. genetischen Ursprung, Störungen während der Schwangerschaft oder Geburt (Sauerstoffmangel des Embryos bzw. bei der Entbindung) und/oder einer Erkrankung (verschleppte Mittelohrvereiterung) während der ersten drei Lebensjahre. Aber auch traumatische Erlebnisse während der Schwangerschaft und/oder in den ersten Lebensjahren (Unfall, OP, Verlust eines Elternteils,…) können solch eine Störung verursachen.

Aufgrund dieser vielfältigen Ursachen erfordert die Diagnose von LRS ein ausführliches individuelles Anamnesegespräch. Dieses Gespräch ist zur Erkennung der Kernproblematik unerlässlich und wird sowohl mit dem Klienten als auch mit den Eltern zusammen durchgeführt. Das Anamnesegespräch ist kostenfrei.

Diagnose: Zentrale Hörverarbeitung, Low-Level-Test

Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Erstellung der individuellen Diagnose ist der Test der zentralen Hörverarbeitung, dieser die erste Ebene zur Lautsprachenentwicklung und schließlich für die Rechtschreibebene darstellt. Dieses Testverfahren testet die sogenannten Low-Level-Funktionen, von denen es insgesamt acht gibt. Zudem werden weitere Tests durchgeführt.

Hier ist eine kurze Beschreibung der 8 Low-Level- Funktionen:

  1. Visuelle Ordnungsschwelle: Sie ist die Messgröße für die zeitliche Auflösung visueller Reize. Ist der Wert zu gering, kann dies zu schnellerer Ermüdung bei Sehaufgaben oder auch zu Schwierigkeiten beim Leseprozess führen.
  2.  Auditive Ordnungsschwelle: Sie ist die Messgröße für die zeitliche Auflösung auditiver Reize. Ist dieser Wert zu hoch, können die kritischen Plosivlaute b-d-g-k-p-t nicht oder nur schwer unterschieden werden. Dies führt zu erheblichen Schwierigkeiten des Sprachverständnisses.
  3. Richtungshören: Diese Fähigkeit stellt eine wichtige Messgröße für die Fähigkeit dar, dem Unterrichtsgeschehen angesichts eines typischen Störgeräuschpegels von ca. 50 – 60 dB(A), der in normalen Klassenzimmern herrscht, zu folgen. Richtungshören ist beispielsweise wichtig dafür, sich gezielt auf eine Sprecherstimme (wie etwa die des Lehrers) auszurichten und diese aus Umweltgeräuschen herauszuhören.
  4. Tonhöhenunterscheidung: Diese Fähigkeit ist für die sichere Erkennung von Vokalen und für die Entschlüsselung der Sprechmelodie überaus bedeutsam.
  5. Synchrones Finger-Tapping: Die Fähigkeit, gleichmäßige Links-Rechts-Bewegungen zu steuern, stellt eine wichtige Befundgröße für die altersgerechte Hemisphären-Koordination, dem Zusammenspiel zwischen den beiden Gehirnhälften dar.
  6. Wahl-Reaktionszeit: Die Fähigkeit einer schnellen und treffsicheren Entscheidung aus mehreren gegebenen Möglichkeiten bestimmt maßgeblich die Erkennungszeiten von Phonemen (=Lauten beim Hören von Sprache) und von Graphemen (=Buchstaben beim Erkennen geschriebener Sprache).
  7. Frequenz-Muster Test: Hierbei handelt es sich um eine wichtige vorsprachliche Grundlage für die Zergliederung des stetigen Sprachflusses bei der Spracherkennung. Unterschiedliche Laute müssen dabei unmittelbar und zielsicher voneinander abgegrenzt und entschlüsselt werden.
  8. Zeit-Muster-Test: Sie ist neben der Tonfolgen Mustererkennung eine weitere wichtige vorsprachliche Grundlage für die Segmentierung des stetigen Flusses der Sprache bei der Spracherkennung.

Weitere wichtige Tests zur Diagnose von LRS sind:

  1. Wahrnehmungs-Trennschärfe-Test (WTT): Sie ist eine auf den Low-Level-Funktionen, insbesondere der zeitlichen Verarbeitung aufsetzende und für fehlerfreies Hören unerlässliche Fähigkeit des sicheren Unterscheidens ähnlich klingender Laute. z.B. kritischer Konsonanten. Wenn es nicht zuverlässig gelingt, kritische Laute der Sprache auch in Störschall sicher zu unterscheiden, kann der wesentliche Inhalt der Sprache nur noch aus dem Zusammenhang erschlossen werden.
  2. Lesen sinnfreier Texte: Dieser Test gibt Aufschluss über die Lesestrategie des Klienten, bzw. den Grad der Automatisierung der basalen Graphem-Phonem-Konvertierung. Das heißt, sie gibt Aufschluss über  die Fähigkeit, Buchstaben sicher zu erkennen, Lauten zuzuordnen, diese zu Wörtern zusammenzuziehen und zu erlesen.
  3. Visuelles Buchstabieren:  Ohne einen zuverlässigen ausgebildeten visuellen Speicher ist es schlicht nicht möglich, die notwendige Rechtschreibkompetenz zum sicheren Umgang mit Schriftsprache zu erlangen. Gute Rechtschreiber haben ein klares inneres Bild von der Feinstruktur eines Wortes, d.h. aller seiner Buchstaben.
  4. Kurzzeit-Merkfähigkeit: Sie ist ein Maß für die Fähigkeit eines Schülers zum Zwischenspeichern von Silben und Worten, im Leseprozess. Auch für sicheres Sprachverstehen im fortlaufenden Sprachfluss ist eine gut ausgebildete Kurzzeitmerkfähigkeit unerlässlich.
    (Aus Warnke, Fred: Was Hänschen nicht hört… Elternratgeber Lese- Rechtschreib-Schwäche, 5. Auflage,
    Freiburg 2001, VAK Verlags GmbH Kirchzarten)

Diagnose von LRS, Felicitas Göbel
Diagnose LRS Kurzzeitmerkfähigkeit